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Tiertransporte: Besichtigung von Versorgungsstationen in der Russischen Föderation

Versorgungsstation?

Es ist ein Thema, das uns schon seit Beginn des Jahres intensiv beschäftigt und heute aktueller denn je für uns ist: Tiertransporte. Existieren die in den Transportplänen angegeben Versorgungsstationen (gem. der Verordnung (EG) 1/2005) überhaupt? Diese Frage wurde immer wieder gestellt und kontrovers beantwortet. Veterinärinnen aus verschiedenen Bundesländern haben sich deshalb persönlich auf den Weg gemacht, um die Existenz der Stationen in der Russischen Föderation zu überprüfen.


Bericht von Dr. Birte Hellerich, Leiterin des Veterinär- und Lebens-mittelüberwachungsamtes des Kreises Steinburg:

Besichtigung von Versorgungsstationen gemäß der VO (EG) 1/2005 in der Russischen Föderation, die in Transportplänen zu Langstreckentransporten angegeben werden
(9. bis 14. August 2019)

Hintergründe/Auslöser für die Bereisung: 
Der Statistik und den Berichten des BMEL (https://www.bmel-statistik.de/aussenhandel/tabellen-zum-aussenhandel/) ist zu entnehmen, dass die Ausfuhr von Zuchtrindern (ohne Nutz- und Schlachtrinder) aus Deutschland in Drittstaaten im Jahr 2013 bei 33525 und im Jahr 2017 bei 79103 (2018 – vorbehaltlich 67860) Tieren lag. Davon gingen nach Russland im Jahr 2013 937 Zuchtrinder und im Jahr 2017 17923 Zuchtrinder (2018 – vorbehaltlich 21164). Nach Usbekistan wurden im Jahr 2013 1599 Zuchtrinder und im Jahr 2017 6865 Zuchtrinder (2018  - vorbehaltlich 8319 Zuchtrinder) exportiert.

Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 vom 22. Dezember 2004 (VO(EG) 1/2005) müssen Rinder bei  Langstreckentransporten auf der Straße nach max. 29 Stunden (14 Stunden Beförderung – 1 Stunde Ruhepause, Tränken ggf. Füttern – 14 Stunden Beförderung) an bestimmten zugelassenen Entlade- und Versorgungsstationen (Kontrollstellen, Control posts) abgeladen, gefüttert und getränkt werden und so eine Ruhezeit von min. 24 Stunden (ggf. tierärztliche Versorgung; Beurteilung der Transportfähigkeit) erhalten.
Nach dem EuGH-Urteil vom 23.04.2015 (Az: C-424/13) gelten die Anforderungen der VO (EG) 1/2005 bei einem Langstreckentransport bis zum Bestimmungsort und somit auch im Drittland.

Die Existenz bzw. die rechtskonforme Nutzung von zugelassenen Entlade- und Versorgungsstationen wird durch Veterinärbehörden, die direkt Langstreckentransporte abfertigen bzw. eine Vorzertifizierung vornehmen, zunehmend angezweifelt. In Transportplänen bzw. Fahrtenbüchern werden immer wieder Adressen von Entlade- und Versorgungsstationen benannt, deren Existenz durch Plausibilitätsüberprüfungen in Frage zu stellen sind.
Deshalb und durch die Entscheidung des EuGH wurden Abfertigungen der Langstrecken-Straßentransporte von Rindern auf der Straße - insbesondere nach Kasachstan und Usbe-kistan - durch einige Veterinärämter in Deutschland bereits eingestellt.
Bestätigt wurde dieser Verdacht durch Augenzeugenberichte und Dossiers. Nichtregierungs-organisationen (NGO´s) hatten bei ihren Nachforschungen auf der Route nach Usbekistan hinter der Region Smolensk keine Entlade-und Versorgungsstationen in Russland und Ka-sachstan vorgefunden.
Diese Erkenntnisse bedurften endlich einer Klärung vor Ort.

Das für Tierschutz zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hatte eine Bereisung der Stationen seinerseits ausdrücklich abgelehnt. Die Zuständigkeit für die Abfertigung von Langstreckentransporten und somit auch die Plausibilisierung der Entlade- und Versorgungsstationen läge bei den Ländern.
Deshalb initiierte die hessische Landestierschutzbeauftragte als ersten Schritt eine Bereisung zur Klärung der Existenz bzw. soweit möglich auch zur Inaugenscheinnahme von Entlade-und Versorgungsstationen, insbesondere in den Regionen Smolensk und Samara. Durch diese beiden russischen Regionen verläuft ein Großteil der Hauptrouten von Drittlandexporten aus Europa mit den Zielen Kasachstan und Usbekistan -sowie nach Süd- und Ostrussland.
Anfang Juli wurden die Bundesländer durch das hessische Ministerium für Umwelt, Klima-schutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz über den Plan informiert und zur Teilnahme ermuntert.
Letztlich nahmen neben der LBT Amtstierärztinnen aus 3 verschiedenen Bundesländern teil.
Unter Berücksichtigung häufig in Transportplänen aufgeführter Standorte und Adressen, so-wie der bis vor einigen Jahren gültigen Liste von Versorgungsstationen im Handbuch Tier-schutz und aktuellen Informationen aus Russland wählte die Gruppe Ziele aus.
Zusätzlich wurde Kontakt zu russischen KollegInnen aus beiden Regionen zum fachlichen Austausch gesucht.

Zielsetzung:
Die Zielsetzung der Bereisung war die Beantwortung folgender tierschutzrechtlicher Fragen:

  • Waren bisherige Langstreckentransporte von Rindern auf der Straße aus Deutschland über Russland nach Kasachstan und Usbekistan sowie nach Süd-/Ostrussland nach der VO (EG) 1/2005 rechtskonform möglich?
  • Sind derzeit Langstreckentransporte von Rindern auf der Straße aus Deutschland nach Usbekistan und Kasachstan sowie nach Süd- / Ostrussland im Sinne der VO (EG) 1/2005 rechtskonform möglich?
  • Welche weiteren Schritte sind notwendig, damit Langstreckentransporte von Rindern auf der Straße nach Usbekistan und Kasachstan sowie nach Süd- / Ostrussland im Sinne der VO (EG) 1/2005 und unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 23.04.2015 rechts-konform durchführbar sind?

Die Bereisung:
Vom 09. bis 14.08.2019 fand die Bereisung und Inaugenscheinnahme in alten Listen aufge-führter und in der Vergangenheit in Transportplänen genannter Stationen statt.
Dies betraf Adressen in

  • den Regionen Smolensk und Kaluga (Oblast Smolensk und Oblast Kaluga)
    Region Smolensk im Föderationskreis Zentralrussland, westlich der Region Moskau zwischen der Grenze zu Weißrussland und Moskau gelegen,
    Region Kaluga im Föderationskreis Zentralrussland, südwestlich von Moskau gelegen
    Sosnovka - Zyuz´ki - Gagarin (Oblast Smolensk) - Medyn (Oblast Kaluga);
  • Moskau
  • der Region Samara (Oblast Samara), Region im russischen Föderationskreis Wolga, ca. 1000 km südöstlich von Moskau
    Staryy Buyan – Samarskiy – Ivashevka (Oblast Samara)

Am 13.08.2019 fand ein Erfahrungsaustausch mit Vertretern aus dem zuständigen Ministerium der Region Samara (Oblast Samara) statt.
Zudem gab es in der Region Smolensk Gespräche mit Tierärzten, die früher für die dort zugelassenen Stationen zuständig waren.
Zu 10 Standorten und Adressen erfolgte vor Ort eine Plausibilitätsprüfung.
Von diesen 10 Standorten und Adressen wurden 6 Standorte in Augenschein genommen.


Schlussfolgerungen und Bewertung der Gesamtsituation:

  • Waren bisherige Langstreckentransporte von Rindern auf der Straße aus Deutschland über Russland nach Kasachstan und Usbekistan sowie nach Süd-/Ostrussland nach der VO (EG) 1/2005 rechtskonform möglich? 
    Nein!

    Bis zum Zeitpunkt der Inaugenscheinnahme im August 2019 gab es nur zwei von den russischen Behörden registrierte Entlade- und Versorgungsstationen auf dem Weg nach Kasachstan und Usbekistan. Diese Stationen entsprachen zum Zeitpunkt der Besichti-gung nicht der VO (EG) 1/2005. 
    Hinter der Region Smolensk konnten keine weiteren, weder russisch registrierte noch den Vorgaben der VO (EG) 1/2005 adäquaten Entlade-und Versorgungsstationen vorgefunden werden. Somit waren Entladungen und Versorgungen von Rindertransporten auf diesem Abschnitt der Fahrt gemäß VO (EG) 1/2005 nicht möglich und auch nach russischem Recht im Transit nicht zulässig. Falls überhaupt gefüttert und getränkt wurde, geschah und geschieht dies in der Region offensichtlich auf dem LKW.
    Den Tieren wurden auf solchen Transporten mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-lichkeit somit systemimmanent langanhaltende und erhebliche Leiden und Schäden zu-gefügt:
    Fehlende oder zu kurze Abladungen lassen keine angemessene Ruhezeit für die Tiere und damit auch keine körperliche Regeneration (Stehen und Ausgleichen der Fahrtbewegung im LKW über Tausende von Kilometern  - ohne angemessenes Niederlegen) zu. Durch unzureichende Fütterung und Tränkung auf dem LKW leiden die Tiere erheblich, da sie ihre Grundbedürfnisse Hunger und Durst nicht stillen können. 
     
  • Sind derzeit Langstreckentransporte von Rindern auf der Straße aus Deutschland nach Usbekistan und , Kasachstan, sowie nach Süd- / Ostrussland im Sinne der VO (EG) 1/2005 rechtskonform möglich? 
    Nein! siehe oben 
  • Welche weiteren Schritte sind nach Ansicht der an der Bereisung Beteiligten notwendig, damit Langstreckentransporte von Rindern auf der Straße nach Usbekistan und Kasachstan sowie nach Süd- / Ostrussland im Sinne der VO (EG) 1/2005 und unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 23.04.2015 rechtskonform durchführbar sind?

    - Erstellung einer Liste aller von russischen Behörden anerkannten/registrierten Entlade-und Versorgungsstationen in der Russischen Föderation; Weitergabe dieser Liste an die Bundesländer, die anderen EU Mitgliedstaaten bzw. an die EU-Kommission
    - Validierung der Versorgungsstationen durch deutsche und/oder europäische Behörden zur Einhaltung der europäischen Standards (siehe HQCP (High Quality Control Post) Leitlinien) bzw. Erfassung, ob eine adäquate Situation vorliegt, und eine Listung der registrierten Stationen.
    - Stichprobenartige, möglichst unangekündigte Überprüfung der gelisteten Versorgungsstationen vor Ort im Betrieb durch o. g. Behörden oder externe Kontrollinstitutionenstellen.

gez. Dr. Birte Hellerich , 05. September 2019

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